Texte

Künstlerbuch CIRREN, 2021

Prof Dr. Markus Quante

Cirruswolken zeigen typischerweise eine ausgesprochene Feinstruktur, die häufig auf kleinskalige dynamische und mikrophysikalische Prozesse zurückgeht. Am hellen, blauen Himmel ist ihre filigrane Gliederung jedoch nicht immer leicht zu erfassen.

In ihrem Künstlerbuch CIRREN eröffnet Angela Schwank einen anderen Blick auf diese Wolken. Es werden Zeichnungen von Cirruswolken präsentiert und angeregt von der zeichnerischen Darstellung  beeindruckende Fotografien von vielen Cirrus-Anordnungen als schwarzweiße Negativbilder gezeigt. Dieser auf astronomische Bildtraditionen zurückgehende sw-Negativblick verdeutlicht unterliegende Strukturen der Wolken und es entwickelt sich eine ganz eigene Ästhetik, die mitunter auch ins Mystische ragt.

Die Fotografien und Grafiken werden durch einen Text der Künstlerin ergänzt, den ich mit Genuss gelesen habe. Zwischen naturwissenschaftlicher Beschreibung und Poesie hin und her schwingend gelingt es Angela Schwank, ein umfassendes Bild der Cirren in Worten nachzuzeichnen, das naturwissenschaftlich stimmig ist. Schön ist es auch, wie sie sich mit Leichtigkeit durch die Evolution der Himmelsfarbe bewegt.

Die Signaturen des Flugverkehrs am Cirrushimmel beschäftigen die Künstlerin dabei sehr. So formuliert sie ihre These zum Strukturverlust der Wolken durch deren Überformung durch ausfließende Kondensstreifen. Natürliche Feinstrukturen von Cirren werden dabei modifiziert oder gar gänzlich überdeckt. Wir Menschen verändern das Himmelsbild durch unsere Partikelemissionen ohnehin schon gewaltig, der intensive Flugverkehr verstellt zudem in vielen Regionen den Blick auf einen natürlichen Wolkenhimmel. Während der Arbeit an dem Buch gab der durch Corona-Maßnahmen deutlich reduzierte Flugverkehr diesen Blick zeitweilig frei.

CIRREN ist ein äußerst interessantes und inspirierendes Buch. Mit seinen Fotografien der besonderen Art, seinen Zeichnungen und seinem Text  spricht es sicher nicht nur naturwissenschaftlich Interessierte an.

Prof. Dr. Markus Quante
Atmosphärenwissenschaftler am Helmholtz-Zentrum Hereon,
Autor der Kapitel zur Cirrusdynamik im Fachbuch Cirrus, erschienen bei Oxford University Press

Zur Eröffnung

ZEIT SCHNITTE

Ruth Horak

Als vor rund 100 Jahren die Presse begann, ihre Artikel mit Fotografien zu illustrieren (1904 Daily Mirror, ab 1922 regelmäßig bei der New York Times[1]), setzte ein öffentlicher Bilder-Boom ein, der bis heute andauert. Maßgeblich mitverantwortlich dafür war die Entwicklung von kleineren und handlicheren Fotoapparate, die entsprechend weniger auffällig waren. Gisèle Freund bemerkte dazu: „Die Einführung des Photos in der Presse ist ein Phänomen von außerordentlicher Bedeutung. Das Bild verändert die Sehweise der Massen […] Mit der Photographie öffnet sich ein Fenster zur Welt. Die Gesichter von Personen des öffentlichen Lebens, die Ereignisse, die sich in seinem Land abspielen und auch diejenigen, die außerhalb der Grenzen stattfinden, werden ihm vertraut. […]“[2]

Von Seiten der Künstler bzw. Intellektuellen, die das damals miterlebten, waren die zirkulierenden Bilder eine willkommene, neue visuelle Quelle. Sie bauten das Bildmaterial etwa in ihre Malereien ein oder arbeiteten ausschließlich mit ihm. Die Fotocollage entwickelten sich zu einem „fundamentalen Bruch mit etablierten Formen künstlerischer Repräsentation“[3]. Roul Hausmann, Lazlo Moholy-Nagy, John Heartfield oder Hannah Höch sind solche heute wichtigen KünstlerInnen, die ab den 1920er Jahren mit Abbildungen aus Zeitungen gearbeitet haben.

Grundprinzip ist die Dekontextualisierung, die das Ausschneiden bedeutet, und die neue Zusammenstellung, die sich oft über einen einheitlichen Raum hinwegsetzt. Werden neben Bildern auch Textfragmente miteinbezogen, unterstreicht das die Quelle „Zeitung“. „War die Fotomontage in ihren dadaistischen Ursprüngen zuerst eine visuelle Anarchie, eine Zersplitterung der traditionellen Bildzeichen und der stilistischen Einheit, so erreicht dieses neue Medium nach einer kurzen Phase der Entwicklung bald eine weit positivere Ausgeglichenheit. Jetzt sollte im mechanischen Sinne „konstruiert“ oder „zusammengebaut“ werden.“[4]

Heute hat die Collage wieder in vielen Bereichen Hochkonjunktur. Als Grund wird der rapide Anstieg von frei verfügbaren Bildern im Netz genannt bzw. die damit einhergehende Recycling-Kultur, sowie eine (immer noch) breite Printmedienlandschaft mit Fotografien aus den unterschiedlichsten Quellen.

Angela Schwanks Fotomontagen knüpfen an die konstruierte, abstrakte Version an, für die Frizot Moholy-Nagy als Vertreter nennt: „Moholy-Nagy vereinfachte die frühere Anhäufung von Ausschnitten und die Vervielfältigung von Perspektiven, Strukturen, und Maßstäben auf einer einzigen Oberfläche“[5]. Angela Schwanks Fotomontagen sind schlicht: Sie verwendet nur wenige, zwei bis drei verschiedene Elemente, die an großen geraden oder geschwungenen Linien aneinandergefügt werden. Die Stöße sind so präzise gesetzt, dass man sie kaum bemerkt, denn auch das Bildmaterial ist so ausgewählt, dass Farben, Formen, Licht, Maßstäbe und Perspektiven aufeinander abgestimmt sind. Das Bildmaterial fügt sich also fast so nahtlos aneinander, ähnlich nahtlos wie die Klebestellen. Die endgültigen Formate haben unterschiedliche Proportionen, sie ergeben sich aus der Wahl der Bildausschnitte.

Der Ausstellungstitel „Zeit Schnitte“ verrät bereits, dass sämtliches Bildmaterial der 36 Collagen aus der Wochenzeitung „Die Zeit“ stammt. Ein Zeithistoriker könnte anhand unverkennbarer Bilder sicherlich eine Art Zeitgeschichte der letzten 15 Jahre ablesen: die Marslandung, das 2005 eröffnet Holocaustdenkmal in Berlin von Peter Eisenman, eine Burkaträgerin von 2006, eine Skulptur von Richard Serra, Bildmaterial aus einem Reiseprospekt für den ostasiatischen Raum, Betonblöcke aus dem Ghazastreifen, Luftaufnahmen von kreisrunden grüne Flächen, mit welchen die Wüste bewässert und landwirtschaftlich nutzbar gemacht wird usw.

Die gebrochenen Farben, die kleinen Formate und vlt. das wiederkehrende Genre Landschaft haben den Fotografiehistoriker Timm Starl veranlasst, den Collagen eine gewisse Idylle anzusehen. Sieht man die Collagen allerdings zusammen mit den Malereien der Künstlerin, die von einer geometrischen Abstraktion, einer strengen Ordnung und regelmäßigen Sequenzierung bestimmt sind, die einen zeitlichen Aspekt hereinholt, würde auch Tim Starl einer farblichen und formalen „Strenge“ im Gegensatz zur „Idylle“ den Vorzug geben.

Die Malerei kann mit Farben und Formen ausschließlich abstrakte Werke hervorbringen – wenn sie auch einem gewissen zeitlichen und räumlichen Konzept folgen und einer Modulation durch das Licht ausgesetzt sind –, sobald man jedoch fotografische Abbilder verwendet, kann man den Verweis auf eine Realität, die außerhalb des Bildes liegt, die ein Stück Welt abbildet, nicht mehr ausblenden. Es passiert automatisch, dass wir die Bildfragmente „lesen“, weil wir trainiert, regelrecht „alphabetisiert“ sind, in Bildern etwas wiederzuerkennen.

So schlage ich eine Lesart vor, die beides miteinschließt: auf der einen Seite die kompositorische Sicherheit der Künstlerin, mit der sie ästhetische und zugleich ungewöhnliche Bilder schafft, aus überwiegend gedeckte Farben und Farbverläufen, in welchen der Rasterpunkt durchaus die Rolle des Pinselstrichs übernehmen kann. Auf der anderen Seite die Zusammenstellung von inhaltlich bedeutsamen Szenarien, die Zeitgeschichte widerspiegeln und damit auch wieder auf die Verwendung der Collage als politisches Kommentar vor 100 Jahren anknüpfen.

[1] http://www.planet-wissen.de/kultur/medien/geschichte_der_fotografie/pwiegeschichtedesfotojournalismus100.html

[2] Gisèle Freund: Photographie und Gesellschaft, 1968, zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Fotojournalismus

[3] http://www.fotogalerie-wien.at/content.php?id=34&ausstellung=234&details=1

[4] Michel Frizot, Die Metamorphose des Bildes. In: Neue Geschichte der Fotografie, Hg. M. Frizot, Köln 1998, S. 432

[5] Ebenda, S. 435

Empfindungen des Lichts

über die Malerei von Angela Schwank

Manfred Makra

Das Sichtbare ist ein in den
Geheimzustand erhobenes
Unsichtbares / Novalis

 

Steht man vor einem Bild von Angela Schwank, ist man augenblicklich aufgefordert, die Möglichkeiten und die Faszination des Sehens neu zu erforschen. Gelingt es dem Auge, in einen kontemplativen Dialog mit dem Bild zu treten, wird Sehen zum Wahrnehmen und Wahrnehmung zur Empfindung: einer Empfindung des Lichts. Die Hervorbringung dieser Empfindung aus Farbbeziehungen ist in meinen Augen sowohl das grundlegende Thema als auch das zentrales visuelles Ereignis in den malerischen Werken der Künstlerin.

Wem es in der Malerei um das Thema „Licht als Farbe“ geht, der hat im allgemeinen mit zwei Farbsystemen zu tun, welche in ihrem Wesen ganz unterschiedlich sind: Gegenstandsfarben und Bildfarben. Das eine beruht auf Natur, das andere setzt Kunst voraus: Der Maler kann das Licht nicht reproduzieren, er muss es in die Farben einer Palette übersetzen.

Auf diese Dualität und, daraus folgend, die grundlegende Verschiedenheit von Natur und Bild, scheint sich Cezanne zu beziehen, wenn er seinem Freund Emile Bernard schreibt: „Das Licht existiert also nicht für den Maler.“ Cezanne deutet damit an, dass er als Maler nur die Pigmente seiner Palette zur Verfügung hat, aus denen er alle Empfindungen des Lichts, die er in seinem Bild haben möchte, herstellen und hervorbringen muss. Um dieses Wahrnehmungsfeld zu schaffen, erfindet der Maler einen Bildraum und sucht diesen so zu organisieren, dass im Zusammenspiel der Farben der Schein des Lichtes entsteht.

Die Malerei von Angela Schwank scheint mir genau in dieser Herausforderung und in diesem Anspruch angesiedelt. Tritt man über die Schwelle ihres Bildraumes, wird man zumeist von einfachen geometrischen Formen empfangen: Kreise, Kreisringe, Ovale, Rechtecke, Quadrate usw.. Diese Formen spannen die Bildarchitektur auf, doch treten sie nicht als monochrome Flächen hervor, sondern aufgelöst in Farbstreifen. Die kristallin anmutende Binnenstruktur der Bilder entsteht vor allem durch diese, die gesamte Bildfläche aufrasternden Farbstreifen, die eine nuancenreich abgestufte Farbfolge zeigen.

Gerade weil die primären Themen ihrer Malerei Licht und Farbe oder „Farbe als Licht“ sind, reduziert die Künstlerin die monochrome Malerei auf die Größenordnung dieser Streifen und arbeitet mit deren relativer Farbwirkung, also damit, dass und wie eine Farbe andere, benachbarte Farben in sich aufnimmt. Dabei verleiht die feine Abstufung und nuancenreiche Kontrastierung der Farbstreifen der geometrischen Form eine vibrierende Erscheinung. Sie bringt in die ansonsten in sich ruhenden und stabilen Bildelemente eine Qualität ein, die den Eindruck einer „Bewegung des Unbewegten“ entstehen läßt.

Der Farb- oder Lichtstreifen – auch eine fundamentale Form der Malerei – gibt Bildern eine Richtung und eignet sich zur Widerholung. In der Regelmäßigkeit seiner Anwendung für den atmosphärischen Bildaufbau unterstützt und konterkariert er zugleich den unbeständigen, flüchtigen Charakter der Farbe und verleiht ihr somit Dynamik, ohne expressiv oder emotional sein zu wollen.

Der einzelne Farbstreifen behauptet seine Identität im Zusammenspiel benachbarter Farben. Auch in einer mit vielen Schritten gehenden Farbabstufung können die Streifen deutlich unterschieden sein, da Kontraste an ihren Kanten verstärkt wahrgenommen werden. Die Malerin nutzt dieses als Mach-Streifen bekannte Phänomen um kleine Farbschritte in ihren Bildern voneinander abzusetzen. In Farbübergängen mit Hell-Dunkel-Gradienten wird der Kontrast durch unterschiedliche Nuancierung zusätzlich verstärkt. So mag eine mäandernde Bewegung der Farbe dunkle und lichte Bereiche in einem Bild verbinden. Aus der Entfernung betrachtet scheinen die Farben ineinander zu fließen und auseinander hervor zu gehen, dennoch ist die Folge von Schritten erkennbar da. Die Farbstreifen sind sichtbar als eine fundamentale Struktur, die zusammen mit geometrischen Formen und Symmetrien des Bildaufbaus die kompositorischen Grundlagen dieser Malerei bestimmt, in welcher die Künstlerin trotz analytischer Vorgehensweise im Malprozeß Farbe mit Freiheit einsetzen kann.

Insbesondere da, wo Licht und Dunkelheit einander begegnen, durchdringen und einen Raum der „Dämmerung“ entstehen lassen, bringt diese Malerei einen Ort des Schwingungsausgleichs hervor, an welchem es weder um das Lichte noch um das Dunkle per se geht, sondern um eine Balance zwischen beiden – ein Weder-noch und Sowohl-als-auch zwischen Licht und Dunkelheit, Erscheinen und Verschwinden, Bewegung und Ruhe. Diese Art von Konvergenz setzt eine eigenartige Atmosphäre frei, die an Ad Reinhards Anspruch denken läßt, wenn er schreibt: „Ein Kunstwerk sollte leblos und todlos sein…“

Im Erleben dieser Atmosphäre in den Bildern der Künstlerin wird einem bewußt, dass die Bilder das Maß ihrer Existenz in sich selbst tragen, dass sie den Betrachter auf unaufdringliche Weise für sich einnehmen. Allen, die mit offenen Augen sehen, enthüllen sie gelassen eine Ahnung von der Pracht, zu der das Sehen allein den Schlüssel besitzt.