Texte zu den Collagen

Zur Eröffnung der Ausstellung
ZEIT SCHNITTE

Ruth Horak

Als vor rund 100 Jahren die Presse begann, ihre Artikel mit Fotografien zu illustrieren (1904 Daily Mirror, ab 1922 regelmäßig bei der New York Times[1]), setzte ein öffentlicher Bilder-Boom ein, der bis heute andauert. Maßgeblich mitverantwortlich dafür war die Entwicklung von kleineren und handlicheren Fotoapparate, die entsprechend weniger auffällig waren. Gisèle Freund bemerkte dazu: „Die Einführung des Photos in der Presse ist ein Phänomen von außerordentlicher Bedeutung. Das Bild verändert die Sehweise der Massen […] Mit der Photographie öffnet sich ein Fenster zur Welt. Die Gesichter von Personen des öffentlichen Lebens, die Ereignisse, die sich in seinem Land abspielen und auch diejenigen, die außerhalb der Grenzen stattfinden, werden ihm vertraut. […]“[2]

Von Seiten der Künstler bzw. Intellektuellen, die das damals miterlebten, waren die zirkulierenden Bilder eine willkommene, neue visuelle Quelle. Sie bauten das Bildmaterial etwa in ihre Malereien ein oder arbeiteten ausschließlich mit ihm. Die Fotocollage entwickelten sich zu einem „fundamentalen Bruch mit etablierten Formen künstlerischer Repräsentation“[3]. Roul Hausmann, Lazlo Moholy-Nagy, John Heartfield oder Hannah Höch sind solche heute wichtigen KünstlerInnen, die ab den 1920er Jahren mit Abbildungen aus Zeitungen gearbeitet haben.

Grundprinzip ist die Dekontextualisierung, die das Ausschneiden bedeutet, und die neue Zusammenstellung, die sich oft über einen einheitlichen Raum hinwegsetzt. Werden neben Bildern auch Textfragmente miteinbezogen, unterstreicht das die Quelle „Zeitung“. „War die Fotomontage in ihren dadaistischen Ursprüngen zuerst eine visuelle Anarchie, eine Zersplitterung der traditionellen Bildzeichen und der stilistischen Einheit, so erreicht dieses neue Medium nach einer kurzen Phase der Entwicklung bald eine weit positivere Ausgeglichenheit. Jetzt sollte im mechanischen Sinne „konstruiert“ oder „zusammengebaut“ werden.“[4]

Heute hat die Collage wieder in vielen Bereichen Hochkonjunktur. Als Grund wird der rapide Anstieg von frei verfügbaren Bildern im Netz genannt bzw. die damit einhergehende Recycling-Kultur, sowie eine (immer noch) breite Printmedienlandschaft mit Fotografien aus den unterschiedlichsten Quellen.

Angela Schwanks Fotomontagen knüpfen an die konstruierte, abstrakte Version an, für die Frizot Moholy-Nagy als Vertreter nennt: „Moholy-Nagy vereinfachte die frühere Anhäufung von Ausschnitten und die Vervielfältigung von Perspektiven, Strukturen, und Maßstäben auf einer einzigen Oberfläche“[5]. Angela Schwanks Fotomontagen sind schlicht: Sie verwendet nur wenige, zwei bis drei verschiedene Elemente, die an großen geraden oder geschwungenen Linien aneinandergefügt werden. Die Stöße sind so präzise gesetzt, dass man sie kaum bemerkt, denn auch das Bildmaterial ist so ausgewählt, dass Farben, Formen, Licht, Maßstäbe und Perspektiven aufeinander abgestimmt sind. Das Bildmaterial fügt sich also fast so nahtlos aneinander, ähnlich nahtlos wie die Klebestellen. Die endgültigen Formate haben unterschiedliche Proportionen, sie ergeben sich aus der Wahl der Bildausschnitte.

Der Ausstellungstitel „Zeit Schnitte“ verrät bereits, dass sämtliches Bildmaterial der 36 Collagen aus der Wochenzeitung „Die Zeit“ stammt. Ein Zeithistoriker könnte anhand unverkennbarer Bilder sicherlich eine Art Zeitgeschichte der letzten 15 Jahre ablesen: die Marslandung, das 2005 eröffnet Holocaustdenkmal in Berlin von Peter Eisenman, eine Burkaträgerin von 2006, eine Skulptur von Richard Serra, Bildmaterial aus einem Reiseprospekt für den ostasiatischen Raum, Betonblöcke aus dem Ghazastreifen, Luftaufnahmen von kreisrunden grüne Flächen, mit welchen die Wüste bewässert und landwirtschaftlich nutzbar gemacht wird usw.

Die gebrochenen Farben, die kleinen Formate und vlt. das wiederkehrende Genre Landschaft haben den Fotografiehistoriker Timm Starl veranlasst, den Collagen eine gewisse Idylle anzusehen. Sieht man die Collagen allerdings zusammen mit den Malereien der Künstlerin, die von einer geometrischen Abstraktion, einer strengen Ordnung und regelmäßigen Sequenzierung bestimmt sind, die einen zeitlichen Aspekt hereinholt, würde auch Tim Starl einer farblichen und formalen „Strenge“ im Gegensatz zur „Idylle“ den Vorzug geben.

Die Malerei kann mit Farben und Formen ausschließlich abstrakte Werke hervorbringen – wenn sie auch einem gewissen zeitlichen und räumlichen Konzept folgen und einer Modulation durch das Licht ausgesetzt sind –, sobald man jedoch fotografische Abbilder verwendet, kann man den Verweis auf eine Realität, die außerhalb des Bildes liegt, die ein Stück Welt abbildet, nicht mehr ausblenden. Es passiert automatisch, dass wir die Bildfragmente „lesen“, weil wir trainiert, regelrecht „alphabetisiert“ sind, in Bildern etwas wiederzuerkennen.

So schlage ich eine Lesart vor, die beides miteinschließt: auf der einen Seite die kompositorische Sicherheit der Künstlerin, mit der sie ästhetische und zugleich ungewöhnliche Bilder schafft, aus überwiegend gedeckte Farben und Farbverläufen, in welchen der Rasterpunkt durchaus die Rolle des Pinselstrichs übernehmen kann. Auf der anderen Seite die Zusammenstellung von inhaltlich bedeutsamen Szenarien, die Zeitgeschichte widerspiegeln und damit auch wieder auf die Verwendung der Collage als politisches Kommentar vor 100 Jahren anknüpfen.

[1] http://www.planet-wissen.de/kultur/medien/geschichte_der_fotografie/pwiegeschichtedesfotojournalismus100.html

[2] Gisèle Freund: Photographie und Gesellschaft, 1968, zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Fotojournalismus

[3] http://www.fotogalerie-wien.at/content.php?id=34&ausstellung=234&details=1

[4] Michel Frizot, Die Metamorphose des Bildes. In: Neue Geschichte der Fotografie, Hg. M. Frizot, Köln 1998, S. 432

[5] Ebenda, S. 435